Es hat sich herausgestellt, dass es irdisch sozialisierten Intelligenzen praktisch unmöglich ist, von ihren Zeitvorstellungen zu abstrahieren. Eine Übersetzung aus einer auf anderen kosmischen Gegebenheiten basierenden extraterrestrischen Sprache muss das berücksichtigen. Die vorliegende Überarbeitung transformiert deshalb sämtliche Angaben zu Zeitdauer, Zeiträumen, Zeitpunkten und Lebensdaten konsequent in tellurisch-gregorianische Werte. Die geneigte Leserin und der verständnisvolle Leser darf sich nunmehr auf exotische Habitate und fremdartige Denkweisen einlassen, ohne sich im tiefsten temporären Empfinden irritieren zu lassen. Ein Jahr ist wieder ein Jahr. Im Himmel wie auf Erden.
Eigentlich wollte ich lediglich ein Verzeichnis der Hohepriesterinnen und -priester einschließlich Gegen- und Nebenhohepriesterinnen sowie der in Banasheyo amtiert habenden bzw. amtierenden Oberpriesterinnen anlegen. Um aber das Material eventuell auch einer geneigten Leserin oder einem ebensolchen Leser nachvollziehbar zu machen, wurde daraus ein allgemeiner Abriss zu „Gott und der Welt“.
Wir betrachten die klerikale Struktur der Leitungsebene der anguramischen Glaubensgemeinschaft(en) und insbesondere ihre personelle Besetzung. Wenn wir allgemein von anguramischer Religion sprechen, meinen wir den gegenwärtigen Zustand der Durchdringung des okhogondischen Hauptkontinents mit den Ursprungs- und Göttermythen sowie der Philosophie und Weltanschauung Angurams nach der Zeitenwende. Wir befinden uns im Jahre 2022 auf dem Planeten Okhogondos und konzentrieren uns hier geographisch auf den religiösen Kernbereich bzw. das Ursprungsgebiet der Mythologie.
Dies ist zunächst Anguram selbst, daneben Emoram und Banasheyo. Emoram ist eine Anguram vorgelagerte Insel, zumeist der festländischen Küste freundschaftlich verbunden. Banasheyo liegt jenseits eines hohen Gebirges und hat zwar die gleichen kulturellen Wurzeln, es sind sich aber Anguramer und Banasheyer traditionell „spinnefeind“. Die Sprachen sind ähnlich, abweichende Lautung wird im Schriftbild zumeist nicht ausgedrückt. Um banasheyisch mittels der Khras-Schrift wiederzugeben, wurde aber ein sonst ungebräuchlicher Sonderbuchstabe reaktiviert. Er bezeichnet einen Nasal, der für Nichtbanasheyer nur schwer auszusprechen ist.
Eine Anmerkung zur Himmelsmechanik: Die okhogondische Tageslänge weicht von der irdischen nur geringfügig ab und ist für die Erlebenswirklichkeit zu vernachlässigen. Ein Umlauf des Planeten um sein Zentralgestirn dauert hingegen etwa 1506 Tage, ist also mit dem irdischen Jahr nicht vergleichbar. Ein solcher Umlauf wird in 17 Abschnitte eingeteilt, die mit 88 bzw. 89 Tagen ähnlich lang sind wie die irdischen Jahreszeiten.
In Kalendern wurde die Zeit in der Vergangenheit von verschiedenen Epochen an gezählt, heute gilt okhogondosweit die Zählung ab der khrassitischen Invasion als dem epochalen Ereignis schlechthin.
Der Erstkontakt mit den Aliens liegt mehr als 316 Jahre zurück. In dem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Okhogonder etwa viermal so alt werden, wie die terrestrischen Humanoiden.
Bevor wir uns mit den Rangordnungen, Rivalitäten und Bezeichnungswirrwarr der Hohe -und zum Teil OberpriesterInnen der anguramischen Götterwelt befassen, künftig mit HP/OP abgekürzt, wollen wir die Gottheiten selbst betrachten.
Als okhogondosweit anerkannte Hauptgottheiten haben sich im Laufe eines vielschichtigen Prozesses zum Schluss 26 anguramische Göttinnen und Götter aus einer Art Urnebel herausdifferenziert. Sie alle tragen einheitlich anmutende Namen ein- und derselben sprachlichen Ebene, die als archaisch bzw. früh- oder voranguramisch anzusehen ist. Einer der Namen ist identisch dem Namen der „Ursuppe“ selbst, Olwigan. Er bezeichnet im weiteren Sinne die „Grauen Gewalten“, im engeren die Göttin des Himmels, des Gebirges und des (stürmischen) Wetters. Aus den unterschiedlichen Traditionen ihrer Reihenfolge bei Aufzählungen resultieren verschiedene Rangordnungen.
Das Symposium der 6
Eine Angabe benennt die Mitglieder des „Hohen Rats“, des Symposiums. Von ihnen ist Olkatan als älterer Bruder der Leader of the Pack und Aracan die Jüngste, aber auch Eifrigste. Zwischen Ubgarvan und Ilsarpan herrscht eine Art Dauerfehde, bei der Ubgarvan eifersüchtig darauf achtet, dass sie stets den Vorrang vor ihrer Schwester behält. Diese erscheint in dem Konflikt als die Klügere, die nachgibt. Den beiden folgt mit Anadricadan die Opponentin und Widersacherin der etablierten Herrschaft, der aber ein resignativer Zug eignet. Ehsdarlan wirkt als eher einfach gestrickte Haudrauf und Schlagetot, die sich aber willig führen lässt.
Olkatan, Ubgarvan, Ilsarpan, Anadricadan, Ehsdarlan, Aracan.
Die Mandala-Abfolge der 9
Eine frühe Ausweitung unter Verdrängung des männlichen Vorsitzes führte zu neun Göttinnen:
Uripan, Ubgarvan, Ilsarpan, Isgradilan, Anadricadan, Aminksan, Ehsdarlan, Asmakratan, Aracan.
Die Mantra-Abfolge der 9
Ehsdarlan, Anadricadan, Aracan, Aswiran, Ubgarvan, Ilsarpan, Iratan, Olwigan, Uripan.
Die 17er-Reihenfolge
Es gab unter Anwendung beider Verfahren weitere Umstellungen, Austausche und Erweiterungen, von denen sich für die Benennung der Nächte der 17er-Woche wie der 17 Jahreszeiten (und auch der 17 Jahre der Schaltperiode) schließlich ein Schema durchsetzte:
①Anadricadan, ②Olwigan, ③Aracan, ④Ubgarvan, ⑤Iratan, ⑥Aswiran, ⑦Ehsdarlan, ⑧Ilsarpan, ⑨Uripan, ⑩Yklanhan, ⑪Isgradilan, ⑫Asmakratan, ⑬Aminksan, ⑭Aisdaran, ⑮Olharcan, ⑯Aiparan, ⑰Yrhanan.
Die allgemeine Anerkennung der Abfolge ließ jedoch weder die Zugehörigkeit zu den „Sechs“, noch den Blick auf das Mandala völlig verblassen. Für die männlichen Gottheiten wurde ebenfalls eine Reihenfolge festgelegt. Um sie hat es aber keine mit der Platzierung der weiblichen Gottheiten vergleichbare Auseinandersetzung gegeben. Platz 1 war sowieso unumstritten und der eigentliche Rang der anderen Götter ergab sich eher daraus, als wessen Begleiter sie in Erscheinung traten.
Die 9 Begleiter
Olkatan, Ecalan, Asdralan, Iklacaran, Unfalan, Aishanan, Iklaman, Avlaran, Aplakan.
Das Verblassen der maskulinen Gottheiten bewirkte, dass die anguramische Religion in nur 17 Häuser zerfällt, oder besser gesagt, differenziert sich die Anhängerschaft in 17 Gruppierungen, die 26 Gottheiten huldigen und sich Überschneidungen schon deshalb ergeben, weil die Beziehungen der Gottheiten untereinander diese nahelegen. Zudem besteht Einigkeit über die weitere Existenz des Urgrundes, also weiterer wirkender Mächte, von denen sogar sieben allgemein bekannt sind. Unter den Gläubigen ist dazu die Vorstellung verbreitet, dass den Wirkmächten Farben zuzuschreiben sind, viele der unbenannten Kräfte und Wesenheiten sind in Grau- und Brauntönen zu denken. Einige haben sich dann im Rahmen einer komplexen Entwicklung zu Reinheit, Klarheit und Prägnanz entwickelt und sich so vom Urgrund abgehoben. Dies sind die göttlichen Wesen bzw. das ist ihr Ursprung.
Statt strikt die Religionsgemeinschaften in oben mitgeteilter etablierter Reihenfolge abzuhandeln, zieht es der Historiograph vor, sie in einem chronologischen Rahmen, darin dann allerdings die einzelnen Häuser im Zusammenhang, darzustellen und jeweils die bürgerlichen Namen, die Amtszeit und den Titel der HP/OP beizufügen.
Namen
Zu den Namen der Protagonistinnen und -nisten ist anzumerken, dass sie nur in seltenen Fällen „sprechend“ sind, also aus eindeutig anguramischem Wortmaterial bestehen. Vornamen folgen natürlich wie andernorts Moden, sind aber auf Okhogondos überaus vielfältig. Es gab auf dem Hauptkontinent eine vieltausendjährige Vermischung von Menschen vieler Völker, Sprachen und Kulturen, so dass sich weder anhand von Familiennamen, noch nach typologischen Kriterien erkennen lässt, zu welcher „Nation“ jemand gehört, bis sie oder er den Schnabel aufmacht und zu sprechen beginnt. Dann allerdings feiert der Lokalpatriotismus fröhlich Urständ und besonders junge Männer im Prozess ihrer Selbstfindung sind oft leicht dazu zu motivieren, einander aus nichtigem Anlass an die Gurgel zu gehen.
Wenn man von den Götternamen das <-n> fortlässt, um den Evokativ zu bilden, ergeben sich interessante Effekte dahingehend, dass mitunter auch das vorstehende <a> entfällt und unter Umständen auch der vor diesem stehende Konsonant modifiziert wird. Der Hagiograph wird die einzelnen Abschnitte dieses Vortrags mit den Hausnummern und den zugehörigen Göttinnenevokativen überschreiben, sie gleichsam zu Garanten anrufen. Die erste dieser Überschriften gilt dem gesamten Pantheon und ließe sich als „o ihr Götter alle“ übersetzen.
Aussprache- und Schreibmerkwürdigkeiten
Titel
Die Tradition hat eine Reihe göttlicher Beinamen zu Titeln der HP/OP gemacht, deren bloße Wiedergabe nichtssagend wäre und die sich oft auch gar nicht sinnvoll übersetzen lassen. Die Bedeutung dieser Titel lässt sich am besten erfassen, wenn wir sie als Götternamen interpretieren und mit solchen Götternamen assoziieren, die uns vertraut sind. Ihre Verwendung drückt auch die hohe Wertschätzung aus, die den Inhabern entgegengebracht wird. Dabei werden hier anguramische Titel als griechische, emoramische als römische und die in Banasheyo verwendeten als germanische Gottheiten gleichsam übersetzt. In gewisser Weise wird damit auch nachvollzogen, dass mitunter die HP/OP nicht einfach als Vorbeterinnen und bevollmächtigte Stellvertreterinnen gesehen werden, sondern sich in ihnen die Gottheit selbst inkarniert. Sie werden - sie sind - dann selbst Göttinnen (und Götter).
baat
Schließlich ist auf einen gewissermaßen magischen Gegenstand hinzuweisen, eine Art Talisman, das baat, ein Wort, das sich mit anima genauso übersetzen lässt, wie mit animal, unter dem aber ein Szepter, Siegel oder sonstiges Herrschaftssymbol zu verstehen ist. Obwohl hiervon gegenwärtig 27 in Gebrauch sind und der Verbleib weiterer drei dieser Artefakte bekannt ist, wird vom baat immer nur im Singular gesprochen. Und allgemein werden unübersetzt übernommene anguramische Begriffe, sofern es sich nicht um Namen handelt, konsequent klein geschrieben.
Genug nun der Vorrede, der eigentliche Vortrag möge beginnen.
Zunächst ist dabei der Blick auf die vormultischismatische, und das ist zugleich die vorkhrassitische Zeit, zu werfen.
Doga Pasaneva, 1614-1655 Gaia
Doga Pasaneva, die anachronistisch und posthum den Titel Gaia erhielt, war die letzte HP, deren gesamte Amtszeit vor dem großen Schisma, vor der Ankunft der Khrassiten, lag. Ihre Berufung erfuhr sie 1614 im Alter von 116 Jahren und es waren ihr nur 41 Jahre beschieden, ihr Amt auszuüben. Wie alle HP vor ihr (und nur wenige nach ihr) erhob sie den Anspruch der Allgemein- und Alleinvertretung. Die zwar schon bestehenden Fraktionierungen nach Einzelgöttinnen hatten noch keinen formellen Ausdruck gefunden, sie war das Oberhaupt aller Gläubigen. Und es war auch die Annahme des Titels als Namensersatz noch nicht üblich, sie fungierte also zu Lebzeiten als Doga. Und es war des Landes der Brauch, dass das baat nicht weitergegeben, sondern mit ins Grab genommen wurde.
Trotz dieser ins Auge springenden Unterschiede der Verhältnisse vor und nach der Zeitenwende zeigt ihr Leben, dass die meisten der gegenwärtig zum Durchbruch gelangten Tendenzen der Geistes- und Kulturgeschichte Okhogondos‘ nicht von den Khrassiten selbst bewirkt wurden, sondern durch ihr Eintreffen lediglich den erforderlichen Raum erhielten. Ohne Khras als Katalysator der Entwicklung wäre diese gleichwohl, aber wesentlich stockender, zögerlicher und mit mehr Windungen und Wendungen einhergegangen. So bedurfte es insbesondere keiner militärischen Durchsetzung, weil das Gewaltmonopol und die Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens, ja überhaupt einer verlässlichen Weltfriedensordnung, auf die in vielen Belangen insbesondere technologisch weit überlegenen neuen Freunde aus dem All übergegangen waren. Diese „Pax Khrassia“ und die Wechselwirkungen zwischen Khras und Anguram sind aber nicht Gegenstand dieses Abrisses.
Gabuna Vodonaś, 1648-1855 Nanna
Mit Gabuna Vodonaś war Doga eine ebenbürtige Konkurrenz entstanden, die, bevor noch irgendein Bewohner von Okhogondos jemals eines Khrassiten ansichtig geworden war, ein dramatisches und tiefgreifendes Auseinanderbrechen der Religionsgemeinschaft zur Folge hatte, allerdings ohne sich dafür auf eine Einzelgottheit zu beziehen – im Gegenteil!
Gabuna hatte sich als OP Banasheyos etabliert und entwickelte den Ehrgeiz, sich als Nachfolgerin Dogas zur HP aufzuschwingen. Sie hatte eine eigene Theologie ausgearbeitet bzw. eklektisch sich angeeignet, propagierte eine nationalistische Ideologie und verlegte sich zunehmend auf magische Praktiken. Zur Durchsetzung ihres Anspruchs verbündete sie sich mit den stockkonservativen militaristischen Ausbeuterkasten ihres Landes und weit darüber hinaus mit deren Gesinnungsgenossen. Als ihr nach dem unerwartet frühen Tode Dogas deren Nachfolge verwehrt wurde, entzündete sie die Fackel eines furchtbaren Krieges, der erst mit Eintreffen der Khras sein Ende fand. Es gibt Vermutungen, dass die Khras die Entwicklung schon lange heimlich beobachtet hatten und dieser Krieg sie überhaupt erst dazu brachte, sich Okhogondos zu offenbaren und ihre Invasion zu beginnen.
Rena Pasaneva, 1655-1718 Thetys
Rena Pasaneva war die erste HP, die den Gebrauch des Titels anstelle des bürgerlichen Namens vorzog. Ursächlich war wohl, dass sie denselben Clan- oder Tribenamen trug, wie ihre Vorgängerin. Diese Tatsache ist einer der Jokes des Universums. Die beiden waren nämlich nicht miteinander verwandt und es gibt sogar Hinweise, dass sie einander nie persönlich begegnet sind. Thetys war bei ihrer Inthronisierung 72 Jahre alt und fand sich sofort in der Auseinandersetzung mit der 32 Jahre älteren Nanna, die als OP von Banasheyo eigentlich ihre ranghöchste Subalterne war und ihr als erste hätte huldigen sollen.
Als der große Krieg mit Eintreffen der Khras sein Ende fand, sah Thetys sich einem Scherbenhaufen gegenüber.
Obwohl Nanna in diesem Jahr 1705 völlige Destruktion erfuhr, indem ihr sämtliche gesellschaftliche, vor allem auch staatlich-dynastische und militärische Unterstützung wegbrach, hielt sie formal an dem Amt bis zu ihrem Hinscheiden 1855 fest, saß also Thetys wie ein Dorn im Fleische. Wie hätte sie den unterschiedlichen Absonderungen, Neuaufbrüchen, aufkommenden Erweckungsbewegungen, schwärmerischen, aus Inkarnationserfahrungen gespeisten Ansprüchen auf Wahrheit und Erkenntnis wehren sollen, sich um eigene Kristallisationskerne zu gruppieren, was sich auch philosophisch sehr wohl rechtfertigen ließ ("kanäle nicht bauen - kanalbau nicht hindern", vgl. quipadem 10709), solange der althergebrachte Klerus mit einer derartigen Hypothek belastet war und die neuen Friedensfürsten eine Bereinigung der Situation mit anderen Mitteln, als der bloßen Überzeugungskraft nicht zuließen und überdies die Begegnung mit den Leuten vom Außenraum und ihrer ganz anders gearteten Weltsicht eine tiefgreifende Uminterpretation der Lehre verlangte.
Renala Dośan, 1718-1771 Theia
Thetys berief schon früh als Nachfolgerin die als Theia mit 91 Jahren vergöttlichte Renala Dośan und übergab ihr das baat wie ein Staffelholz. Die Vornamensähnlichkeit soll wiederum rein zufällig sein.
Theia legte ihr Amt folgerichtig als das einer Moderatorin aus. Hatten ihre beiden Vorgängerinnen sich entschieden um die Einheit der Form bemüht, geistig-seelisch um Erbauung und Schicksalsergebenheit gerungen und das Einheitsgebetsbuch um zahlreiche Verse bereichert, trug Theia hierzu wenig bei und mühte sich vielmehr um den Kontakt zur Demokratiebewegung wie auch zu den neuen, von den Khras begünstigten Eliten. Von Kritikern wurde ihr deswegen eine allzu große Vertrautheit mit den Mächtigen und eine Vernachlässigung der Spiritualität vorgeworfen. Sie zeigte sich divergenten Strukturen innerhalb der Gemeinschaft offen und akzeptierte erstmals in der Geschichte die Inthronisierung von zwei nur jeweils einer Göttin dienenden HP, der Anadricadan im Jahre 1760 und der Ilsarpan im Jahre 1766.
Man hat von einem Fluch gesprochen, der auf den letzten mehr oder weniger unangefochten von der ganzen anguramischen Glaubensgemeinschaft akzeptierten HP lastete, sie alle starben jung. Nicht anders sollte es der letzten HP ergehen, die am Alleinvertretungsanspruch festhielt.
Pauro Xecrun, 1781-1810 Phoibe und Paino Hilzen, 1782 Phanes, Heilige Hochzeit 4. Dezember 1782
Zwischen den Jahren 1781 und 1810 hat es den letzten Versuch einer HP gegeben, Phoibe, noch einmal die ganze Gemeinschaft unter einheitlicher Führung zu vereinen. Zunächst allein angetreten, führte sie im Jahre 1782 eine revolutionäre Neuerung durch, indem sie Phanes als gleichberechtigten Partner in die HPschaft kooptierte. Gemeinsam bereisten sie den Kontinent, besuchten zahlreiche Gemeinden, disputierten mit Unterstützern und Gegnern gleichermaßen und wurden von Begeisterung und Wellen der Sympathie getragen. Allerdings bedeutete die emotionale Zuwendung zu dem charismatischen Duo nicht automatisch eine Abkehr von dem sich immer mehr verstetigenden Bekenntnis zu nur jeweils einer Göttin als der persönlich geoffenbarten. Phoibe hat sich aber nicht dazu hergegeben, sich etwa selbst als Reinkarnation, z.B. der Yklanhan, was ihr nahegelegt wurde, auszugeben. Vielmehr hat sie diplomatisch dargelegt, dass die große Kraft, ja Universalität des anguramischen Glaubens gerade darin liegt, dass er der Vielfalt der Erscheinungen zur Gänze gerecht wird und die verschiedenen Göttinnen insoweit Aspekte einer Alleinheit darstellen, deren Anrufung sich nicht im Nennen eines einzigen Namens erschöpft.
Sie starb im Alter von 107 Jahren. Von Kummer und Schmerz überwältigt, resignierte Phanes, behielt aber sein Symbol, das baat, und wird von einigen immer noch als legitimes Gesamt-Oberhaupt angesehen. Hiervon unabhängig und dem Volksglauben nach oft so, als sei auch Phanes längst verblichen, gelten Pauro und Paino als vergöttlichtes Liebespaar, dem in Liedern gedacht wird (vgl. quipadem 20213, 40356 und 40380).
Urasha Niladi, 1792 Nerthus
Während der Ära des Paares wurde von den Gläubigen Banasheyos die lange Phase der Stagnation abgeschüttelt und obwohl Nanna unverändert residierte, schmollend, eine neue OP auf den Schild gehoben. Nerthus steht als letzte in der gemeinschaftlichen Tradition, ist Phoibe (und Phanes) sehr verbunden (gewesen) und wird seit dem Jahr 1810 als ihre legitime Nachfolgerin betrachtet. Legalisten haben also auch gegenwärtig noch einen HP und eine OP, die formal als Oberhäupter der Gesamtgemeinde angesehen werden können. Phanes ist nunmehr 325 Jahre alt und Nerthus ist 306. Die Zahl ihrer Anhänger ist eine denkbar geringe.
Lao Dayenak, 1760 Hekate, Offenbarung am 28. Juni 1760, Besessenheit 26. März 1776 - 7.Juli 1832
Die erste HP der nachschismatischen Ära war Lao Dayenak, der im Jahre 1760 Anadricadan persönlich erschienen ist (Magierin, Heilerin, Göttin der Reisenden, der Einöde). Sie sah sich daraufhin als Inkarnation der Göttin und nahm im Rahmen einer Inauguration, die einer Initiation gleichkam, mit dem Segen der Groß-HP Theia den Titel einer Hekate an und wurde damit die erste HP einer individuellen Gottheit anstelle des allgemeinen Pantheons. Ihre Gottgleichheit schützte Hekate nicht vor der Besessenheit eines Dämons, der sie im Todesjahr Theias in Besitz nahm. Ihr Kampf gegen den dunklen Lord, der sie quälte und drangsalierte, währte 56 Jahre. Gewiss kein Gott, sondern ein Teufel. Sie hatte die liebende Unterstützung ihrer Anhänger wie auch von Adepten anderer Richtungen, besonders auch der ihrer Mit-HP/OP, anfänglich der Phoibe und des Phanes, zugleich der Athene und später noch der Nerthus. Sie obsiegte zuletzt und gewann ihr eigenes Seelenheil ebenso zurück, wie sie auch wertvolle theologische und allgemein spirituelle Erkenntnisse in die Gemeinschaft einbrachte. Es ging dabei auch um das Böse schlechthin und Ausgangspunkt war die Farbe ihrer Göttin, eigentlich eine negative oder Unfarbe, nämlich das lichtlose schwarz. Doch gehört dies eher in eine Darstellung der neuanguramischen dialektischen Psychologie.
Ihr war danach eine lange Phase friedvoller Aufbauarbeit beschieden und sie gilt vielen noch heute als Kraftquelle und (dunkel) leuchtendes Vorbild.
Erouna Źan, 1886 Hekate II und Halressa Luqa, 1896 Hekate III
Aus fürsorgender Rücksichtnahme beschlossen zwei ihrer Priesterinnen, dass sie die Bürde nicht mehr allein tragen könne, positionierten sich gegen sie und gegeneinander und maßten sich die Titel Hekate II und III als ihre Stellvertreterinnen und potentielle Nachfolgerinnen an. Hiervon traten sie schließlich wieder zurück, verzichteten weitgehend auf die Führung ihrer Titel und brachten sich als „einfache Priesterinnen“ wieder in die Gemeinschaft ein.
Ruora Harokayen, 1928 Hekate IV, Muraś Gabenalan, 1945 Gullveig und Yum Ten He, 1948 Hekate V
Das Spiel wiederholte sich mit Hekate IV und V, parallel hatte sich Muraś Gabenalan als OP von Banasheyo mit dem Titel Gullveig inszeniert.
Die personellen Querelen und Rangstreitigkeiten zeigten letztlich einen wahren Kern auf, dass nämlich Hekate mit der administrativen Leitung der immer größer werdenden Gemeinde am Ende doch überfordert war und kontemplativer Zurückgezogenheit bedurfte.
Vlaaq Banośa, 1957 Zeus
Als eine ihrer letzten Amtshandlungen nahm sie einen Partner in ihre Gemeinschaft auf und kürte ihn gemeinsam mit Hera I, der späteren Nemesis, als HP des Iklaman mit dem Titel Zeus und schuf ihm sein baat.
Henufa Sarua, 1962 Hekate VI, Amtsübergabe 19. Juni 1962
Kurz danach bestimmte sie Henufa Sarua zu ihrer legitimen Nachfolgerin. Ob sie ihr baat behielt oder Hanufa ein eigenes Segenszeichen fertigte, ist nicht bekannt. Die neue Hekate stammt nicht aus den anguramischen Kernlanden, sondern ist gebürtige Lenganerin. Sie gerierte sich zunächst selbst als Hekate II, machte sich dann aber die bestehende fortlaufende Nummerierung zu eigen und betrachtet seitdem ihre nicht zu voller Wirkmächtigkeit gelangten nominellen Vorgängerinnen einschließlich Gullveigs als ihre Deputies und Erfüllungsgehilfinnen. Daran, dass Hekate VI das unumstrittene Oberhaupt der Anadricadaner ist, besteht kein und lässt sie keinen Zweifel.
Bis zum Jahr 1975 gab es allerdings einen Bereich, in dem Hekate I ihrer Nachfolgerin mit mehr als nur Ratschlägen zur Seite stand, bei der Erfüllung der Bitten von noch vier HP-Nachzüglerinnen, ihnen zu ihrem baat zu verhelfen.