Jahrtausende lang lebten Menschen über weite Gebiete zerstreut in Sippen und Großfamilien, mehr oder minder matri-linear strukturierten Gruppen zusammen. Ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit der Frauen Kinder zu gebären und dem Geschlechtsakt war nicht sichtbar und somit nicht existent. Die einzige objektiv wahrnehmbare Verwandtschaft bestand zwischen Mutter und Kind - die Kinder "gehörten" den Müttern. Die Religionen der frühen Kulturen waren meist Mutterreligionen, denn Vorsatz und Fähigkeit Kinder zu bekommen, waren nicht zu unterscheiden; überlebensfähig war eine Gemeinschaft jedoch nur dann, wenn ihr eine ausreichende Zahl von Individuen angehörte.
Durch Beobachtungsprozesse vieler Generationen und Austausch verschiedener Lernschritte, bedingt durch eine zunehmende Bevölkerungsdichte in geeigneten Gebieten, "Völkerwanderungen" und die Weiterentwicklung der Produktivkräfte (wobei die aufgezählten Faktoren einander wechselseitig beeinflußten, zeitlich und örtlich in unterschiedlicher Intensität), verbreitete sich mit der Erkenntnis der männlichen Fortpflanzungsfunktion auch eine Form von Arbeitsteilung, die, durch unterschiedliche Bewertung der jeweiligen Arbeiten, eine unterschiedliche Verteilung der Produkte 'rechtfertigte‘. Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte ermöglichte es mehr herzustellen als zum sofortigen Verbrauch notwendig war. Eine häufig wiederkehrende ökonomische und soziale Abhängigkeit der Frauen, kurz vor der Geburt eines Kindes und kurz danach, von der Gemeinschaft, die in ihrer Gesamtheit eine Produktionseinheit darstellte, führte durch diese biologisch bedingte Arbeitsteilung zur Möglichkeit männlicher Vorherrschaft und damit verbunden zu einer unterschiedlichen Verteilung der hergestellten Produkte. Der Wunsch des Mannes dieses so entstandene Eigentum nur an die eigenen Kinder zu vererben, setzte eine völlige Monogamie der Frau voraus. Entstehung von Eigentum und Patriarchat standen also in einer direkten Wechselbeziehung. Dieses ökonomische Interesse, das in unserem Kulturraum auch und gerade über die Bibel transportiert wurde, dient bis heute als eine wesentliche Grundlage für gesellschaftliche Wertvorstellungen und Normen und wirkte sich prägend auf Staat und Gesetzgebung aus.
Ein anderer Widerspruch als der zwischen den Klassen, zieht sich mit seinen Auswirkungen ebenfalls durch alle gesellschaftlichen Bereiche:
die Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen durch die Männer. Sie unterstützt zwar an den Punkten, an denen gemeinsame Interessen des Patriarchen und des Kapitalisten vorliegen die Herrschaft des Kapitals, ist aber, wenn sie auch eine tragende Säule des Kapitalismus darstellt, keinesfalls mit ihm identisch und wird auch folglich nicht "automatisch" mit dessen Abschaffung aufgehoben. Daher müssen Kämpfe gegen Klassengesellschaft und Patriarchat parallel, ineinandergreifend und sich gegenseitig unterstützend geführt werden, um im Sinne des Anstrebens einer völlig herrschaftsfreien Gesellschaft, die Erfolgsmöglichkeiten zu vergrößern. Wann immer der proletarische Patriarch Frauen ausbeutet und unterdrückt, mag er auch noch so klassenbewußt sein, richtet sich unser Kampf gegen ihn, auch wenn er hier nicht auf die Vernichtung des 'Feindes Mann` zielt, sondern auf die Veränderung von dessen Bewußtsein und dem daraus resultierenden Handeln.
Frauen unterliegen in dieser Gesellschaft also einer doppelten Ausbeutung und Unterdrückung, der durch Kapitalismus und der durch das Patriarchat: als Lohnarbeiterinnen müssen sie ihre Arbeitskraft dem Kapitalisten verkaufen und das unter für sie besonders ungüstigen Bedingungen (Unterqualifikation, Leichtlohngruppen, Abdrängung in sogenannte frauenspezifische Berufe, industrielle Reservearmee). Der Kapitalist kann die Arbeitskraft einer Frau, wenn er sie benötigt, also wesentlich billiger einkaufen, als die eines Mannes. Das ist einer der hauptsächlichen Gründe für ihn, ein Interesse am Fortbestand des Patriarchats zu haben.
Patriarch und Kapitalist bedienen sich zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft zum Teil identischer Repressionsmechanismen:
gesellschaftliche Abwertung von Frauen, das bedeute: ihre Darstellung als Sache, die es ermöglicht, sie zur Eigentum des Patriarchen zu machen, sowie die Vermarktung von Frauen durch den Kapitalisten als werbewirksame, oder als vom Patriarchen direkt käufliche Sexualobjekte, werden durch die von der Kirche als Kulturträger und vom Staat als H e r r schaftsapparat unterstützte Ideologie der weiblichen Minderwertigkeit, die direkt oder indirekt dauernd fixiert ist und wird, zum Instrument der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschafts- und Ausbeutungssituation. Die monogame Zweierbeziehung dient als Keimzelle des kapitalistischen Staates nicht nur dessen Reproduktion, sondern ebenso der des Patriarchats, wie der des einzelnen Patriarchen.
Sie Ehe, wie auch die neuerdings stillschweigend geduldte eheähnliche Zweierbeziehung, führt einerseits zu einer ökonomischen Abhängigkeit der Frau vom Mann: (Hausfrauen, Halbtagsbeschäftigte) und andererseits zu einer psychischen, die eine genauso existenzielle Bedienung darstellt. Diese psychische Abhängigkeit zeigt sich in der Verinnerlichung der Kindchenrolle durch die Frauen, die unter anderem durch die gesellschaftliche Abwertung von Alleinstehenden zu sozial defekten alten Jungfern (soziokulturell bedingt intensiver ausgeprägte Einsamkeitsängste als bei Männern) hervorgerufen wird.
Patriarchalische und zum Teil auch kapitalistische Herrschaft läßt sich auch und gerade am Bereich Sexualität festmachen. Psychologen und linke Theoretiker, von bürgerlichen und rechten wollen wir gar nicht erst sprechen, haben es bisher einhellig vermieden, diesen Bereich radikal zu hinterfragen und offenzulegen (Sollten hierzu positive Ansätze existieren, so sind diese bisher allgemein zu unbekannt wahrscheinlich werden sie bewußt totgeschwiegen um Einfluß auf praktiziertes Sexualverhalten zu haben). Doch zeigt sich gerade hier, wie Verinnerlichung von Rollenverhalten, Unselbständigkeit und Passivität der Frauen, sowie im Gegensatz dazu, aktives Verhalten der Männer und die Unterdrückung durch sie, bis hinein in die sogenannte Intimsphäre reichen.
Indem noch nicht einmal linke Männer es versucht haben, ihr eigenes. von der Gesellschaft ebenso geprägtes Verhalten, in ihren sexuellen und sozialen Beziehungen zu Frauen radikal zu hinterfragen und damit eine unantastbare `Privatsphäre` auch für sich in Anspruch nehmen, tragen sie dazu bei, daß demPatriarchat weiterhin der Status Quo vorbehalten bleibt. Somit stehen sie ihrem e r k l ä r t e n Ziel, eine völlig herrschaftsfreie Gesellschaft für alle Menschen erkämpfen zu wollen, selbst im Wege !!!
- Der einzige tatsächliche Unterschied zwischen Frauen und Männern liegt mit der Gebährunfähigkeit der Männer und der Andersartigkeit ihrer Geschlechtsorgane ausschließlich im biologischen Bereich -
Die einzelnen Aspekte, die die doppelte Ausbeutung der Frau mit sich bringen, aufzuarbeiten, sowie das unterstützende Eingreifen in die existierenden Kämpfe (und das Entfachen neuer) in der Frauenbewegung, muß für uns als Anarchisten(innen), genauso wichtig sein, wie das Zusammenfassen und_Unterstützen der gegen den Kapitalismus gerichteten Kämpfe.