Warum wir als Anarcho-Syndikalisten in einem hochindustrialisierten, kapitalistischen Staat prinzipiell für einen Wahlboykott sind, ist ganz einfach zu begründen: Wir weigern uns, als Stimmvieh die wirtschaftlichen Verbrechen der kapitalistischen Ausbeutung (in der dritten Welt, dort abgesichert durch Militärdiktaturen, die Ausbeutung der Arbeiter in der BRD usw., usw.) auch noch Politisch zu unterstützen! Denn eine abgegebene Wählerstimme, egal an welche politische Partei, die den Wahlrummel in diesem System mitmacht, bedeutet subjektiv und objektiv eine Anerkennung des bürgerlich-parlamentarischen Systems - und somit die Absegnung der kapitalistischen Ausbeutung und ihrer weltweiten, vielfältigen Formen der Verelendung!
Ein kleiner geschichtlicher Rückblick:
Die Beteiligung des Proletariats an den bürgerlichen Parlamenten hat diesem selbst das "revolutionäre Rückgrat" gebrochen, weil seine Vertreter zum größten Teil reformistischen, versöhnlerischen Illusionen aufsaßen - mit einem Wort: Die wirklichen Interessen des Proletariats wurden meistens durch ihre Vertreter in den bürgerlichen Parlamenten verraten! John Most sagt zur Wahlbeteiligung an den bürgerlichen Parlamenten folgendes: "Was speziell die Stimmkästnerei anbelangt, so kann man dieselbe von vornherein nur als ein agitatorisches Experiment auffassen. Dasselbe hat sich nicht bewährt. Es führte die Massen auf Abwege der Nebensächlichkeit und Oberflächlichkeit und viele gute Kräfte in allerlei Versuchungen, denen sie nicht immer zu widerstehen vermochten. Mancher gute Revolutionär ist durch seine Teilnahme am Parlamentarismus und durch seine Berührung mit den Parlamentariern total verdorben worden. Wir Anarchisten sind daher dafür, daß man sich mit der Wählerei nicht befasse, sondern stets und ständig rein prinzipielle Propaganda mache und dabei gerade Wege wandele." Schon damals (Ende 19. Jahrhundert/Anfang 20. Jahrhundert) erforderte die Beteiligung revolutionärer Parteien am bürgerlichen Parlament von diesen ungeheure Anstrengungen, um nicht vom Kapitalismus bestochen, "geschluckt" zu werden. Parteien wie z. B. die der Bolschewiki, die dies bis zur revolutionären Umwälzung durchhielten, gab es in der Geschichte verhältnismäßig selten - sehr viele anfangs noch revolutionäre Parteien verbürgerlichten schon nach nur wenigen Jahren!
Karl Marx sagt, daß sich alle geschichtlichen Tatsachen sozusagen zweimal ereignen: "das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." Die Tragödie ist unserer Meinung nach die Beteiligung der Arbeiterklasse an en bürgerlichen Parlamenten, wenn man diesen geschichtlichen Prozeß insgesamt betrachtet. Kommen wir jetzt zur Farce, speziell hier in Hamburg: Den Anspruch der "Bunten Liste" und die Illusionen, die damit bei vielen fortschrittlich denkenden Menschen geweckt wurden, dann die politische Praxis der "Bunten Liste", das Erlernen von bürgerlich-parlamentarischen Gepflogenheiten (worauf wir Anarcho-Syndikalisten getrost scheißen!), dann noch als zusätzliche Besonderheit die Machtpolitik des KB innerhalb der "Bunten Liste", die veranlaßte, daß viele basisdemokratische Gruppen ausstiegen, wo dann auch noch Ende letzten Jahres auf einem Treffen der "Bunten Liste" weinerlich festgestellt wurde, daß die "Flammen an der Basis erschreckend erloschen" wären (ja, warum denn wohl?) - dies alles kennen wir zu Genüge – eine regelrechte Farce! Einen wesentlichen Unterschied zu früher haben wir Anarcho-Syndikalisten auf jeden Fall feststellen können: Früher brauchte der bürgerliche Parlamentarismus noch Jahre, um neue, von ihrem Anspruch her revolutionäre Parteien seinen Spielregeln anzupassen, heute dauert dieser Prozeß nur wenige Monate, ja nur einige Wochen (s. Entwicklung der Bunten Liste)!
Mit den "Grünen“, die sich zur Bundestagswahl 1980 aufgestellt haben, erleben wir jedoch noch eine zusätzliche Farce, nämlich eine Farce auf die der "Bunten Liste"! Die führenden Personen der "Grünen" sind heute schon den Spielregeln des bürgerlichen Parlamentarismus angepaßt - genauer: Sie sind schon jeher bürgerliche Parlamentarier gewesen! Ein basisdemokratischer Anspruch, wie er noch bei der "Bunten Liste" anfangs in Worten vorhanden war, wird von den führenden Personen innerhalb der "Grünen" von vornherein abgewürgt! Unsere Gegenvorstellung zur bürgerlichen Demokratie ist die der revolutionären Rätedemokratie, wo jeder Delegierte von seiner Basisgemeinschaft für je eine bestimmte Aufgabe gewählt ist. (Basisgemeinschaften sind sowohl Arbeitersyndikate als auch autonome Haus-, Dorf- und Stadtteilgemeinschaften). Diese Delegierten sind von der Basis jederzeit abwählbar, in ihrer gesamten Tätigkeit sind sie der Basis gegenüber rechenschaftspflichtig. Es ist unbedingt zu verwirklichen, daß die Auswahl der Delegierten entsprechend der soziologischen und geschlechtlichen Proportionen erfolgt!
Überlegungen zu aktiven Formen des Wahlboykotts:
Als eine aktive Form des Wahlboykotts bietet sich z. B. die öffentliche Verbrennung von Wahlbenachrichtigungen an, dazu Flugblätter an die Bevölkerung, warum wir das tun. Die Einrichtung von Wahlboykottinitiativen (u. a. eine Überlegung von Wahlboykottlern hier in Hamburg im Frühjahr 1978), die ständig jede Woche oder alle 14 Tage einmal tagen, halten wir für unnütze Kräfteverschwendung - übrigens ganz ähnlich der Kräfteverschwendung jener Linken, die noch Illusionen ins bürgerliche Parlament haben: Es liegt nämlich am Wesen des Gegenstandes (des bürgerlichen Parlaments, der bürgerlichen Wahl) selbst, daß sich daran nichts Positives entwickeln kann - außer, daß man ihn ablehnt, boykottiert und sich auf seine eigenen Kräfte verläßt, sich selbst organisiert! Denn aktiver Wahlboykott ist für uns im wesentlichen ein aktives Funktionieren der autonomen Gruppen und eine organische Vergrößerung ihrer Vielfalt mit einheitlicher Stoßrichtung, denn nur so ist das kapitalistische System bzw. sind die bürgerlichen Parlamente zu knacken!!!
Ein weiterer Vorschlag von uns: Organisierung und Durchführung von Wahlboykottdemonstrationen, um der Bevölkerung zu verdeutlichen, für was und wem sie ihre Wahlstimme nicht abgeben sollten!