Klerus 6

⑫ Asmakrata

Lonua Gabohain-Ghumoram, 1924 – 1975 Kore (Persephone), Theophanie 26. Februar 1924, Abdankung und Umberufung 23. Juni 1975

Lonua Gabohain-Ghumoram war eine Campesina im besten Sinne des Wortes. Dabei eingewurzelte Anguramerin. Aus dem Volke stammend war sie mit dem Volke stets untrennbar verbunden. Von gerechtem Zorn erfüllt, wenn sie es mit Ungerechtigkeit zu tun bekam und wehe dem, der es dann mit ihr zu tun bekam. Sie wusste um den Aberglauben ihrer Companeros, hatte an der großen Wallfahrt nach Salirao teilgenommen, wusste von Dorfbewohnern, die sich nachts nicht über den Friedhof trauen. Sie wusste auch, dass mancher der kleinen Schreine am Wegrand und manche der Nischen im großen Tempel nicht der Mutter der Ernte galt, der Iratan, sondern ihrer Tochter, der Asmakratan, meist nur verhüllt angesprochen, als alhason, was mit Mädchen übersetzt werden kann.

Diesem Milieu war auch der Hades entsprungen, HP des Aplakan.

Die Menschen hatten Angst vor dem Tod, konnten ihn aber auch nicht gut verdrängen, denn, zumindest gilt das für die vergangenen Zeiten, er war stets präsent und konnte mit seinen Schrecken drohen. Die Todesgöttin war jedenfalls geradeso wichtig, wie die gütige Göttin der Fruchtbarkeit, obwohl auch diese launisch sein konnte und manchmal im Verbund mit den Olwigan, den Grauen Gewalten, oder der Olwigan, als ihr singulärer Ausdruck, oder sonst einer eifersüchtigen Gottheit auch Ernten misslingen lassen konnte, und dann war es wieder der Tod, der die Ernte hielt. Das war nun aber wirklich lange her, denn auf Ernten kam es nicht mehr an.

Lonua war keine Bäuerin, sondern Agrarökonomin, studierte Landwirtin und eigentlich ausersehen, das Weingut ihrer Familie als Winzerin fortzuführen. Nach Auffassung vieler kluger Leute war die Erzeugung edler Tropfen noch am ehesten einer der landwirtschaftlichen Nischenbereiche, die die große Transformation zu überleben vermochten.

Aber die Khras konnten alle Aromen, jede Struktur, jede Textur jedes Produkts naturidentisch nachformen und abbilden. Der einzige Unterschied, den echtes Essen noch aufwies, war, dass es mal so mal so ausfiel, Früchte nicht immer den optimalen Reifegrad hatten, Gemüse manchmal Flecken aufwies, aber bis auf eine kleine ideologisch verbiesterte Minderheit hatten die Konsumenten sich im Laufe der Jahre für die synthetischen Speisen entschieden, eben weil sie verlässlich stets die gleiche Konsistenz und den gleichen Geschmack aufwiesen. Der Trend zum Fertiggericht trug ebenfalls dazu bei, dass der Absatz von Naturprodukten zum Erliegen kam.

Schon kündigte sich mit der Kochkiste, nicht zu verwechseln mit der manchmal scherzhaft so genannten Medizinbox, bereits die nächste Revolution an, dass nämlich nichts Materielles mehr verarbeitet wurde, sondern das verzehrbereite Gericht aus einem 3D-Drucker entnommen wurde. Gehandelt wurde außer mit elementaren Rohstoffen eigentlich nur das Programm oder Rezept, das die Kochkiste dann abarbeitete.

Klar, dass es eine eigentliche Landwirtschaft perspektivisch nicht mehr geben konnte, sowenig wie Jagd oder Fischfang. Dieser gesellschaftliche Transformationsprozess war weit vorangeschritten und wurde von den Aracanerinnen eng begleitet; das Ziel war der Ersatz der Nahrungsmittelproduktion durch die Pflege diverser Kulturlandschaften, als Lonua Gabohain-Ghumoram ihre Theophanie erfuhr. Die 71jährige Winzertochter reagierte zunächst verblüffend cool auf die plötzliche Wahrnehmung göttlicher Präsenz und glaubte sogar, der Göttin vielleicht ihr Bedauern übermitteln zu sollen. Denn die Iratan drohte ja ganz offenkundig arbeitslos zu werden. Musste vielleicht umschulen. Gab es schon eine Gottheit für Maschinenwartung und Fuhrparkbetreuung, für Kybernetik und Programmierwesen? Die sie dann aber doch überwältigende Aura der Erscheinung spiegelte nichts davon wider. Lonua hatte nicht den Eindruck, dass die mit majestätischer Wucht auf sie einwirkende Kraft irgendwie davon abhängig sein könne, ob Menschen ihrer fürderhin als Nahrungsgarantin bedürften. Vielmehr kam es ihr vor, als würde dieser Gedanke die Göttin zu einem milden Lächeln veranlassen und sich allenfalls erleichtert zeigen, dass die ihr anvertraute Herde nun eine Last weniger zu tragen hatte.

Eine festgelegte Funktion war wohl nur eine bequeme Zuschreibung, die Göttin stand jenseits davon. Die Iratan war eher eine kosmische Macht als der anthropomorphe Ausdruck einer Vegetationsperiode. Die ganz frühen Philosophen waren von vier Elementen ausgegangen und es schien, hier war sie einem solchen begegnet. Statt an Erde als so einen schmutzigen bröseligen Stoff war vielleicht eher an Materie im Allgemeinen zu denken und Energie war auch nur eine Ableitung. Oder umgekehrt war Materie gleichsam verdinglichte Kraft, geronnenes Tun, kompakte Erscheinung.

Je länger die Vereinigung andauerte, und Lonua kam es wie eine Ewigkeit vor, je mehr manifestierte sich die Göttin als die Eine und Einzige und Lonua begriff, was es bedeutete keine anderen Götter neben sich zu haben.  Sie wäre hier und jetzt zum Universalismus von vor der Zeitenwende konvertiert und hätte die gegenwärtige Entzweiung, ja Entvielung, als Irrtum und sinnlose Häresie abtun mögen, wenn sie sich jetzt nicht ganz persönlich angesprochen gewusst hätte. Die kosmische Schau der Alleinheit war nur eine Machtdemonstration gewesen. Iratan sah sie bescheiden lächelnd an und sagte: „Ich will von dir, meine Tochter nur, dass du dir der Relationen bewusst bist. Euch Menschen ist nur eine kurze Zeit auf einem kleinen Erdenrund gegeben, egal wes Namens euer Planet sei, ist er stets nur ein Staubkorn im All und selbst sein Dasein nur ein Wimpernschlag in den Äonen der stets im Wandel begriffenen kosmischen Prozesse. Du sollst dich nicht sorgen um Nichtigkeit, sondern fröhlich und aufrichtig tun, was dir und deinen Lieben wohl ist.“

Das war in etwa die Vorstellung. Nach all dem Bombast hatte sich Lonua vielleicht ein bisschen mehr Sinn erhofft, ein hehres Ziel, das zu erreichen ihr aufgetragen würde. Aber so etwas frommte wohl nicht jeder.

Sie fand sich nicht damit ab, diese Botschaft anzunehmen und derartige Larmoyanz zu vertreten, sie befand sich nicht als die Mutter, sondern  als Tochter, als die wilde, ungebärdige  und so trat sie erfüllt von dem Erleben vor die Hekaten I bis III und die singuläre Athene und wider besseres Wissen verkündete sie glaubhaft, es sei ihr die Asmakratan erschienen, Göttin der Nacht und der Kälte, dessen, was unter dem Erdboden liegt, der Unterwelt, und damit auch der Verstorbenen Wärterin und Trost.

Da kamen keine Zweifel auf und sie empfing das baat, wurde zur HP der Asmakratan berufen, verzichtete aus im Nachhinein zwar verständlichen, damals aber irrational erscheinenden Gründen auf den Titel einer Persephone und titulierte sich Kore stattdessen.

Vargun Hleazit, 1901 Hades

Sie fing den irrlichternden Hades ein, den dankbar die Nemesis ihr abtrat, obwohl er den Yrhantinen verbunden blieb und gründete einen Todeskult ohne Schrecken und voll der Verheißung, denn den Sinn, den ihr die die Göttin ins Herz zu pflanzen verweigert hatte, den wollte sie den Menschen, die an sie glaubten, nicht vorenthalten, lieber einer großen Lüge leben als der endlosen Verzweiflung. Sie wollte Schutz bieten „vor dem wahnsinn - der ewigkeit (vgl. quipadem 11406).“

Das war ihr Motto und der Kult gedieh und viele öffneten sich der Verheißung des ewigen Lebens. Und es ging gut, bis nach 51 Jahren der schöne Trug aufgedeckt und die große Trösterin ihrer Gemeinde entrissen wurde.

Yekam Yemaśogam, 1965 Hel

Yekam Yemaśogam hatte ähnliche Überzeugungen wie die Kore und sich ihr eng angeschlossen.  Sie stylt sich selbst zu einer dunklen Variante ihrer Gottheit und hat ihren Körper in ein Tattoo-Kunstwerk verwandelt. Als Banasheyerin vermochte sie, das Vertrauen der heimatlichen Gemeinde leichter zu erwerben, als es einer Anguramerin gegeben war. Das gegenseitige Feindbild der eng verwandten und kulturell so ähnlichen Völker bestand in Teilen immer noch. Und es zeigte sich, dass es eine gute Idee war, Yekam rechtzeitig vor dem großen Showdown, der zehn Jahre später stattfinden sollte, mit 88 zur OP der Asmakratan mit dem Titel Hel zu erheben. Ohne sie wäre den Anhängern der Todesgöttin in Banasheyo der geistliche Beistand völlig weggebrochen.

Hisola Heva, 1975 Persephone I, Offenbarung 6. Juni 1975

Hisola Heva war schon als Jugendliche passionierte Freizeithöhlenforscherin mit einer kleinen Gruppe von Freunden. Auch sie gehörte zu denen, die sich erst mittels der von den Khras zur Verfügung gestellten hardware und ihren Basisinformationen sowie den nach und nach von den Aisdaranern eingespeisten ergänzenden Inhalten über die eigentliche Gestalt und Beschaffenheit des Heimatplaneten und seiner unmittelbaren kosmischen Umgebung orientiert hatte. Sie las über plutonische Kräfte und über Plattentektonik, begann die Ursachen vulkanischer Aktivität zu verstehen und nutzte das erworbene Wissen, um bisher unbekannte Hohlräume des Okhogondosinneren aufzuspüren. Es faszinierte sie ungemein, zusammen mit ihrer Gruppe als erste Menschen überhaupt völlig unerforschte Räume zu betreten. Sie war sich aber auch der Gefahren bewusst, bereitete sich stets sorgfältig auf ihre Unternehmungen vor und informierte auch stets die Community über die genauen Koordinaten, bevor sie sich auf ein neues Abenteuer einließ. Dass dies weise gehandelt war, zeigt der Vorfall mit dem Lavasee, über den bereits berichtet wurde, Haus ⑩.

Dem edlen Retter fliegen natürlich gern die Herzen zu und auch Hisola war von Hephaistos recht angetan. Ihr wäre aber im Traum nicht eingefallen, mit ihm eine Liaison zu beginnen, zumal die Klatschpresse ihm ein Verhältnis mit der Leto nachsagte.  

Honal orame Dônoś, 1951 Hephaistos

Heph hatte natürlich mächtig viel zu tun, aber er frönte nach dem gemeinsamen Abenteuer ebenfalls der Höhlenpassion, sah sich selbst schon fast als einen Troglodyten und so kam es, dass die beiden mehr und mehr Freizeit miteinander verbrachten, alles sittsam und in Ehren versteht sich. 

Das blieb so bis zum Jahre 1975, da war sie 70 und er 122, als der große Tag heranrückte, an dem Hisola dreierlei gleichzeitig erkannte: erstens ihre Berufung zu HP der Asmakratan, zweitens ihre große und wahre Liebe für Heph und drittens, dass sie unverzüglich etwas gegen die Frau unternehmen musste, die das HP-Amt als solches missbraucht, lächerlich gemacht und in den Schmutz gezogen hatte.

Aufgrund der geringeren Bahnneigung und der längeren Umlaufzeit um sein Zentralgestirn hat Okhogondos weit weniger ausgeprägte Jahreszeiten, als Terra, und insgesamt auch ein gemäßigteres Klima. Die Tropen sind nicht so tropisch und die Polargebiete nicht so polar. Trotzdem assoziiert der ideelle Gesamtokhogonder Polnähe mit Kälte und (im Winter) auch mit Dunkelheit und er weist ihr (der Asmakratan) einen Wohnsitz in der Nähe des Nordpols an. Dieser, und es liegen der magnetische und der geographische Pol eng beieinander, liegt, anders als auf Erden, auf dem Land, einer unwirtlichen Gegend des Nordkontinents (Im Süden ragt das Festland nur geringfügig über den Äquator, so dass die Vorstellung einer Antarktika auf Okhogondos völlig surreal erscheint.).

Die Idee von der Asmakratan ist ambivalent, einerseits Todesgöttin und Höllenfürstin, mit dieser Idee geht ja der HP des Aplakan, ein gewisser Hades, seit 1901 hausieren und den von ihm Verschreckten versuchte die Kore Mut und Trost zuzusprechen, andererseits können wir uns die Asmakratan des Volksglaubens als die leibhaftige Eiskönigin vorstellen, eine in Pracht majestätisch thronende Gestalt, bei deren Annäherung aber das arme Menschenherz gefriert.

Vielleicht unbewusst hatte Hisola mit ihren ausgedehnten Höhlenerkundungen und alle Windungen und Wendungen mitnehmenden Schluferfahrungen eben diese Göttin gesucht. Zwar ist auch der Okhogondoskern glühheiß und im Prinzip steigen mit der Tiefe die Temperaturen. Dies gilt aber nicht für die oberste Kruste und die Erlebenswirklichkeit sagt uns, dass es in den Höhlen und Klüften drunten oft bitter kalt ist.

Es war am Ende eines Blindschlufs, an dem Hisola gerade dabei war, ihren hinter ihr nur zu vermutenden Begleitern, es war zu eng, um sich umzudrehen, signalisierte, dass es nicht weiter voran, sondern nur noch rückwärts ginge, da glaubte sie vor sich, wo eigentlich nur die Felswand war, doch einen Durchgang zu erkennen, spürte einen Sog und fand sich urplötzlich in einer weiten Halle, einem Dom, und sie fand sich allein.

Denn die ihr Nachfolgenden hatten, an der Stelle, wo sie verharrt hatten, war eine Wendung möglich, ihre Botschaft richtig interpretiert und befanden sich auf dem Rückweg, glaubten ihre Höhlenkameradin unmittelbar hinter sich.

Und so hatte Hisola Heva ihre Offenbarung der göttlichen Präsenz in einer außergewöhnlichen Umgebung unter ganz außergewöhnlichen Umständen. Und sie empfand, dass ihre Göttin eine Forscherin war, eine Suchende wie sie und keineswegs damit befasst, die Seelen Verstorbener zu drangsalieren. Die Asmakratan aber sagte zu ihr: „Du bist meinem Herzen lieb.“

Ihr war klar, dass es diese Kunde war, die sie verbreiten sollte und dass sie dazu eine Betrügerin vom Thron stoßen musste und gleichzeitig wallte in ihr ein von der Göttin sogleich bestärktes Gefühl warmer Zuneigung für ihren alten Freund Hephaistos auf, der übrigens bei dieser Gelegenheit nicht in der Nähe war und es gibt auch keine Geschichte etwa eines neuerlichen wagemutigen Rettungseinsatzes. Bevor ihre Mitfahrenden, die sich zwischenzeitlich am Höhleneingang versammelt hatten, sich über ihre Abwesenheit ernsthaft beunruhigten, stand sie schon mit leuchtenden Augen, noch erfüllt von der Gottheit, mitten unter ihnen und drängte zum Aufbruch.

Der erste Weg bei der Rückkehr in die Zivilisation führte sie zwar nach Salirao, nicht aber zu irgendwelchen Priesterkollegien, um dort ihre Offenbarung anzuzeigen und ihre Erhöhung zu betreiben, nein, sie stürmte das asmakratanische Hauptquartier, verschaffte sich ohne auch nur anzuklopfen Zutritt zur Kore und machte ihrer Empörung Luft.

Die versuchte erst gar nicht, sich irgendwie zu verteidigen. In dieser Situation konnte sie nur nachgeben. Es wurde eine Versammlung der HP/OP einberufen und die Angelegenheit förmlich verhandelt. Im Ergebnis fand sich die Kore als bereits vorgestellte Demeter III und Anleiterin der Iratanierinnen des Hauses ⑤ und Hisola Heva wurde HP der Asmakratan, erhielt das baat, das allerletzte, an dessen Kreation Hekate I mitwirkte, und bestand vehement darauf, den Titel einer Persephone von Anfang an mit der Ordnungszahl I zu versehen. Vor ihr sollte es keine Persephone jemals gegeben haben. Nur unter dieser klaren Ansage zeigte sie sich dann auch den am Boden zerstörten Anhängern der Kore gegenüber gnädig und beließ ihnen ihre Strukturen und erlaubte die Fortführung ihrer Kulte.

Horani Ivym, 1975 Persephone II

Horani Ivym war Rückkehrerin. Vor etlichen Generationen waren ihre Vorfahren von Emoram auf den kaum erforschten und auch heute nur wenig präsenten Südkontinent ausgewandert, hatten sich auf die dortigen Lebensweisen eingelassen, aber stets ihrem Glauben die Treue gehalten, anguramisch der universalistischen Konfession mit den theistischen Schwerpunkten Aswiran, Iratan und Asmakratan, letztere natürlich in der Totenkultvariante. Horani war, vielleicht weil ihre Familie von der Religion ihrer Mütter nicht lassen wollte, auf dem Südkontinent noch nach Generationen als Zugereiste mit Migrationshintergrund betrachtet worden. Als sie im Rahmen eines khrassitischen Ausbildungsprogramms nach Saliaro kam, Haupt- und auch Universitätsstadt des anguramischen Kernlandes, zugleich sakraler Mittelpunkt aller sich auf das anguramische Pantheon ausrichtenden Glaubensgemeinschaften, war sie dort hängengeblieben, der Liebe wegen. Sie übte nach dem etwas schmerzlichen Abschied von ihrem etwas exaltierten Partner einen schlichten Bürojob bei der Kommunalverwaltung aus. Ihr Ex war jetzt aufgrund seines aufbrausend-cholerischen Temperaments, infolge dessen er sich zu unüberlegten Handlungen hatte hinreißen lassen, als Verbannter in einem Ein-Mann-Raumschiff zu fernen Welten unterwegs, zwar geschützt vor aller Unbill und mit ausgezeichneten Lebenserhaltungssystemen sowie Kommunikationsmitteln ausgestattet – sie konnten gelegentlich miteinander chatten -  aber ohne die Möglichkeit, sein Gefährt jemals zu verlassen, selbst wenn er  bewohnbare Habitate finden würde, und ohne irgendwelche Waffen, die er hätte dort heimischen Populationen gegenüber verwenden können. Es waren sogar alle Scanner so geschaltet, dass nicht durch die zumeist unfreiwilligen Forscher durch Laser, Radar oder bestimmte Schallfrequenzen empfindliche Lebensformen beeinträchtigt werden konnten.

Horani hatte sich in ihrer neuen Heimat dem Zirkel um die Kore angeschlossen. Als diese zur Abdankung gezwungen wurde und eine HP an ihre Stelle trat, die ein völlig anderes Bild der verehrten Göttin propagierte, gelang es aber Horani, der Persephone die große Not der Todeskultanhänger vor Augen zu führen - wenn sich kein Ersatz für die große Trösterin fände. Und mit Unterstützung der Hekate VI und der Athene II gelang es ihr, sich noch im selben Jahr im Alter von 112 Jahren zur weiteren HP der Asmakratan mit dem Titel Persephone II ernennen zu lassen, um so für die anguramischen und emoramischen Altgläubigen dasselbe tun zu können, was die Hel für Banasheyo tat.

Im Jahre 1996 befand die Persephone I, dass sie die eigene, aufklärerische Strömung innerhalb des Ordens vernachlässigt hatte und dass sie der Fraktion der unverdrutzt am Bild der Höllenfürstin, wenn auch zugleich gnädigen Trösterin der Verstorbenen, Retuschierenden zu viel Raum und Leine gelassen hatte. Das Dreierteam aus Hades, Hel und Persephone II, noch dazu weiterhin unauffällig unterstützt von der ehemaligen Kore, prägte nachgerade das Bild der Asmakratan nach außen. Und das entsprach nicht dem Auftrag, der ihr erteilt worden war. So verstärkte sie ihre fortschrittliche Richtung, indem sie die Aufnahme eines weiteren Hades bewirkte, des   Ekamun Dekam als Hades II.

Ekamun Dekam, 1996 Hades II

Dieser aber entstammt dem Umfeld der Isgradilaner und war ein Adept ihres Liebsten, des Hephaistos I. Gemeinsam würden sie dafür sorgen, dass zwar das kreatürliche Verlangen von Menschen nach Schutz vor der Vorstellung ihres endgültigen Aufhörens auch weiterhin gestillt würde, aber ein solcher Glaube nicht länger die Macht besaß, auf das wirkliche, das Leben vor dem Tod, knechtend Einfluss zu nehmen und es nicht weiter angängig sein würde, das Versprechen auf ein Leben danach vom Wohlverhalten zugunsten von Herrschenden im Diesseits abhängig zu machen.

⑦ Ehsdar

Mhokwa Dom Lena, 1935 Enyo

Mhokwa Dom Lena war Kriegerin. Ihre Eltern und Großeltern, ihre Geschwister, Nachbarn und Freunde waren seit eh Kriegerinnen und Krieger gewesen.

Was bedeutete es, Kriegerin zu sein? Vor der Zw. hatte es im Wesentlichen zwei Sorten dieses Berufsstands gegeben. Einmal gab es solche, die an den Höfen der Vornehmen und Reichen lebten und diesen ihre Fertigkeiten zur Verfügung stellten. Euphemistisch gesprochen waren sie dazu da, das einfache Volk um solche Höfe, Burgen und Schlösser zu beschützen. Beispielsweise vor solchen Kriegern, die benachbarten Herrschaften dienten. Und weil man natürlich irgendwovon leben musste, waren sie auch dafür zuständig, Steuern und Abgaben zu erheben. Wie an anderer Stelle ausgeführt, waren das aber keine eigentlichen Herrschaftsstrukturen und ihre Bedeutung war gegenüber den unterschiedlichen Selbstverwaltungsorganisationen des Volkes nicht eben überragend. Die zweite Kriegersorte bestand nämlich aus solchen, die für eben diese parlamentarisch-kommunal-syndikalen, also im allgemeinen demokratischen Verbände kämpften. Sie traten dort auf den Plan, wo es zu Übergriffen von Adligen und Kapitalisten gegen das Volk kam.

Mhokwa gehörte einem Clan an, der stolz auf seine Geschichte war. Das Familienoberhaupt residierte selbst auf einer Art Burg. Dort übte sich die junge Mannschaft in der Kunst des Waffengebrauchs und die helleren Köpfe erhielten auch Strategieunterricht. Es war Tradition, dass diejenigen, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, als quasi fahrende Ritter eine längere Abenteuerreise antraten und dabei die Verhältnisse der besuchten Gegenden studierten, gern auch in allerlei Schenken und auf Märkten Erkundigungen über alle etwaigen Missstände einzogen, gegen die gegebenenfalls einzuschreiten war. Da solche Fahrenden kurzfristig auf die Loyalität ihres Clans, also der Verwandten, Nachbarn und Freunde, rechnen konnten, kam es oft vor, dass sich ein rotzfrecher Volksdrangsalierer mit seiner Schlägerbande auf einmal einer Hundertschaft professioneller Kämpferinnen und Kämpfer gegenübersah.

Die aus solchen Vorkommnissen resultierenden Geschichten, die sich so trefflich eignen, am Lagerfeuer und in den Wirtsstuben erzählt zu werden, gehörten im Jahre 1935 natürlich schon lange der Vergangenheit an. Die Khras hatten dieses wildromantische Kapitel schon vor 95 Jahren mit dem Vertrag über die Verbrechensbekämpfung und die große Strafrechtsreform endgültig beendet.

Trotzdem gab es immer wieder Zwischenfälle und sogenannte Selbstjustiz und Mhokwa musste miterleben, dass eine Tante hier, ein Bruder da und vor Kurzem erst ein ihr sehr lieber Freund als verurteilte Straftäter die Reise zu den Sternen angetreten hatten.

Nun, das war vielleicht nicht das schlechteste Los, wenn es der Preis dafür war, einem verhassten Ausbeuter den roten Hahn aufs Dach zu setzen.

Längst hatten natürlich die großen Familien ihre speziellen Differenzen mehr oder weniger beigelegt und auf großen Kongressen herauszufinden versucht, welche Zukunft ihre Profession in der neuen Zeit überhaupt noch haben konnte. Natürlich wurden Strategen in der Wirtschaft gebraucht und loyale diensteifrige Handlanger allerorten. Aber dabei drohte Vereinzelung und Aufgehen in der Masse. Irgendwie musste doch die Tradition erhalten werden und vor allem durfte der Kodex niemals untergehen.

Es hatten sich zwei Linien herauskristallisiert, die eine hielt dafür, den Kampfsport zum Maßstab eines verblassenden Rittertums zu machen, entsprechende Turniere auszutragen und darüber die hergebrachte Mentalität zu retten. Die Gegenposition betrachtete diesen Weg als einen entwürdigenden, vergleichbar dem folkloristischer Tanztruppen, die zum Gaudi von Touristen Schwertkämpfe aufführen.

Wetok Weya, 1946 Ares

Im Jahre 1935 bestimmte der Zusammenschluss des anguramischen Kriegeradels die Ernennung der 86jährigen Mhokwa Dom Lena zur HP der Ehsdarlan, sorgte dafür, dass sie das baat erhielt und den Titel der Enyo. Sie war in den Versammlungen als Vermittlerin aufgetreten, hielt viel davon, die Dinge von allen Seiten zu betrachten und sorgsam abzuwägen, was in wessen Interesse lag und wie lange. Mit dieser Herangehensweise vorsichtigen Taktierens lief sie aber zugleich Gefahr, von populistischen Konkurrenten zur Seite gedrängt zu werden. Während sie noch versuchte durch Überzeugung von Zweiflern ihre Hausmacht zu konsolidieren, schwang sich elf Jahre darauf ein Nebenbuhler zum Protektor der führungslos dahindümpelnden Gemeinschaft der Ubgarvanerinnen auf, die manche als den Orden der Liebesdienerinnen bezeichnen, und erhob als vollgültiger HP des Iklacaran den Anspruch, auch den Ehsdarlanern zu sagen, wo es langgeht.

Es kostete Enyo viele für ihr eigentliches Ziel verlorene Jahre, bis sie auch die letzten Clanführern, die letzten Matriarchinnen überzeugen konnte, dass Ares ein großmäuliges Arschloch war, das das Vertrauen stolzer Krieger in seine glorreiche Führung nicht verdiente. Tatsächlich war er immer wieder ein Ärgernis, befangen im Taumel unreflektierter Gefühle und völlig unfähig, die neue Zeit zu begreifen.

Ohum Sotkawo, 1979 Ares II

Endgültig aber gelang die Kaltstellung ihres Widersachers unter Mitwirkung der Aphrodite erst im Jahre 1979 mit der Inthronisation des Ohum Sotkawo als Ares II.

Von der Last befreit hätte jetzt eigentlich ein Ruck durch die geeinigte Kriegerkaste gehen müssen, er blieb aus. Enyo sah ein, dass der Konflikt mit Ares offenbar für sie nur ein bequemer Vorwand gewesen war, sich nicht einzugestehen, dass sie sich überhaupt keine den Zeitläuften adäquate Verwendung für ihren Stand vorstellen konnte. Hilfswerke hatte die Leto straff organisiert, da war zwar jede helfende Hand willkommen, aber Dünkel und das Vorführen absonderlicher Kampfeskünste wurde nicht goutiert. Ähnlich war es mit dem Haufen der Artemis.

Sie neigte jetzt doch fast wieder dazu, ein Hauptaugenmerk der Pflege und Weiterentwicklung der Kampfsportschulen zu widmen, um wenigstens dort den alten Geist wachzuhalten. Wie aber sollte sie verhindern, dass man damit in den professionell vermarkteten Sport abrutschte, einfach in den Aminksanern aufging? Musste sie hinnehmen, dass eine Jahrtausende alte Tradition für immer vom Planeten verschwand?

Menzen Khia, 1996 Enyo II

Da, nach so vielen Jahren der Zerrissenheit und schierer Verzweiflung, Hader mit ihrem eigenen Unvermögen und manchem nicht erhörten Gebet an die offenbar taube Ehsdarlan, lernte sie Menzen Khia kennen. Menzen war die um ein Jahr jüngere Schwester von Dionysos II, im Jahre 1996 also 85 Jahre alt. Ebensowenig wie ihr Bruder war sie irgendwelchen Kriegskünsten zugewandt, hatte aber Umgang mit Uripanern und Isgradilanern, von denen sich einige mit geheimem Wissen abgaben.

Davon teilte sie Enyo manches mit und die war bald Feuer und Flamme für eine ganz neue Weltsicht und eine wie ihr schien hieraus möglicherweise erwachsende großartige Perspektive. Wenn die Verschwörungstheoretiker recht hatten, und im Hintergrund der Khrassiten Marionettenspieler zu Werke gingen und nicht nur die Okhogonder, sondern sämtliche Völker der Galaxie, die Khrassiten selbst eingeschlossen, als bloßes Spielzeug betrachteten, und wenn die anguramischen Götter, nicht als Gegenspieler, dann wären sie ja um nichts besser, sondern als verschworene Gemeinschaft dagegenhielten, ihnen die Fäden aus der Hand zu schlagen und das Spiel zu beenden und allen Wesen die Freiheit zu schenken, dann wäre es natürlich die heroischste und ehrenvollste überhaupt nur irgend denkbare Aufgabe für Kriegerinnen und -er, ihnen dabei beizustehen und zu helfen, diesen Kampf, diese Mutter aller Schlachten, zu einem siegreichen Ende zu führen. Und mochte dieser Krieg 1000 Jahre dauern.

Das Haus ⑦ als Verbündete des Hohen Rats der Götter, Geheimparole: Götterhilfe. Das war doch mal etwas, damit konnte man manch alten Krieger hinterm Ofen hervorlocken. Enyo war selig, machte Menzen Khia ohne zu säumen zur weiteren HP der Ehsdarlan und verlieh ihr den Titel Enyo II.