Marx und Bakunin

"Marx und Bakunin in einer Front!"

Die Parole der FAU, "Marx und Bakunin in einer Front!" kam nämlich nicht von ungefähr. Man warf uns vor, wir hätten Marxismus und Anarchismus "vermengt" (Vgl. ENGEL LUZIFER, UTOPIA, FREIE PRESSE!), wir hätten vergessen, daß der Kommunismus Sklaverei und Unterdrückung bedeute unddergleichen mehr.

Dabei schienen unsere Kritiker zweierlei vergessen zu haben: Erstens hat das, was heute unter der offiziösen Bezeichnung Kommunismus läuft, herzlich wenig mit dem zu tun, was in Marx' und Engels' Entwürfen des Kommunismus steht. Es handelt sich vielmehr um leninistische oder neoleninistische Verfälschungen des Marxschen Kommunismus, um eine Überbetonung der autoritären Tendenzen bei Marx und um eine totale Umkehrung der Rolle des Proletariats.

Die "wahren" Anarchisten indessen haben eine fast religiöse Marxistenhatz initiiert. Sie verkennen dabei fast vollständig, daß die überwiegende anarchistische Wirtschaftstheorie und die anarchistische Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise zu einem großen Teil aus der Feder des Herrn Marx geflossen sind. Auch, wenn sich Marx und Bakunin ziemlich heftig gezankt haben (übrigens ein Konflikt, der oft über Gebühr symbolisiert wird!), so müssen deshalb nicht automatisch Marxens Arbeiten schlecht sein.

Da es in gewissen anarchistischen Kreisen sogar unfein ist, Marx überhaupt zu lesen, dürfte es nicht verwunderlich sein, wo der militante Antimarxismus seine Wurzeln hat: in einer antimarxistischen Emotionalität. Gerade dies macht eine echte, sachliche Kritik en den Gefahren des Marxismus ja gerade unmöglich.

Zweitens ist eine bedeutende Schule, die sich aus dem Marxismus ableiten läßt, für Jahrzehnte der tragende Impuls für die anarchistische Theorie und Praxis gewesen: der Rätekommunismus. Einzig er hat beispielsweise sich detaillierte Gedanken über die Rolle des Subjekts in der Revolution, über die Frage der genauen Ursachen des Versagens der Parteien und vor allem über die detaillierte Organisation nachrevolutionärer Verwaltung, Versorgung, Produktion und Güterverteilung gemacht. Ohne seine Arbeiten müßten wir tatsächlich damit rechnen, nach der Revolution einen chaotischen Hungertod zu sterben.

In der Tat verschwimmen die Grenzen zwischen Anarchismus und Rätekommunismus, und das ist gut so, denn es verhindert die Versektung der anarchistischen Bewegung. War die Machno-Bewegung in der Ukraine anarchistisch oder rätekommunistisch? Was war Kronstadt? Ist der narchosyndikalismus ein Anarcho- oder Räteprinzip? Müßige Fragen, die nur linke Schriftgelehrte begeistern können.

Deshalb auch eine zweite These der FAU: Anarchisten sind für uns nicht diejenigen, die sich dafür halten, sondern diejenigen, die dementsprechend handeln.

Ganz ähnlich den anarchistischen Organisationen {FAUD, AAU, AAUE usw.) der Vorkriegszeit, so ist auch die heutige anarchistische Bewegung in Deutschland zusammen mit Rätekommunisten "organisiert".

Was können wir daraus ganz allgemein für die Qualität der anarchistischen Bewegung ableiten?

Es geht darum, daß der Anarchismus lebendig bleibt. Er muß aus seinem Ghetto ausbrechen. Und das kann er nur, wenn er in seinen Ideen dynamisch bleibt. Wir müssen aus einem geistigen Kastraten einen potenten Kopf machen. Insofern ist es heute viel wichtiger zu wissen, wie man ein Haus besetzt oder eine Betriebszelle organisiert, als wann, wo und weshalb sich Marx mit Bakunin stritt und wer eigentlich recht hatte.

Was haben wir dabei für Probleme?

Auch hier sind es wieder vor allem zwei Sachen: die eine ist intern und die andere bezieht sich auf die Frage der Agitation.

Selbst in Deutschland, dem Land, das in puncto Anarchismus seit jeher die klassische Rolle eines Nachzüglers spielte (hier war eigentlich nie viel los), beginnt es sich zu regen. Die Zahl der Genossen und Gruppen ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. Auf den verschiedensten Sektoren wird die verschiedenste Arbeit betrieben. Eine Unzahl kleiner Gruppen in Provinzstädten arbeiten heute noch ohne irgendwelchen Kontakt zu anderen Gruppen; Organisation tut dringend not.

Unter den Anarchos jedoch scheint sich eine fixe Idee eingenistet zu haben: Desorganisation sei eine anarchistische Tugend. Nichts ist falscher, Anarchismus ist tatsächlich eine eigene Organisationstheorie. Vielen Genossen ist offenbar nicht eingegangen, daß die notwendige Konsequenz zum Antizentralismus nicht Desorganisation sein muß. Deshalb sind alle die bisher begonnenen Initiativen zur Begründung einer überregionalen Organisations- und Informationsform für die aktiv daran beteiligten Genossen ein äußerst hartes Brot gewesen.

Regionale und nationale Kongresse, interne Infos und Kontaktstellen werden von den meisten Genossen nicht beachtet, unterschätzt oder einfach abgelehnt. Doch gerade in einer Phase, wo die Bewegung von der spontanen und diskussionshaften Phase zu einer kontinuierlichen Arbeit - in Betrieben, Stadtteilen, Schulen und Universitäten - übergeht, ist der Austausch von Informationen und die Koordination der Arbeit eine wichtige Voraussetzung. So kann die zum Fetisch erhobene Organisationsfeindlichkeit zum Bremsklotz unserer Aktivitäten werden. Dies wollten wir nur mal gesagt haben.

Einige FAUler der Ortsgruppe Hamburg.

Anmerkung:

Eigentlich wollten wir diesen Artikel ohne Anmerkung abdrucken und erst bei Eingang der zahlreichen, uns in der Luft zerfetzenden Stellungnahmen der "wahren" Anarchisten die Katze aus dem Sack lassen. Uneigentlich aber meinen wir, daß die Arbeitskraft von Genossen zu wertvoll ist, als daß sie sich in Interpretations- und Verdrehungskünsten erschöpfen sollte. Denn: Wenn man statt "FAU“ "junge Anarchos", statt der im Artikel genannten Zeitschriften "Anarcho-Info 10,11,12" und schließlich statt "Ortsgruppe Hamburg" "Gruppe Wetzlar" setzt, dann hat man einen Teil der 1975 erschienenen “Theoretisch-praktischen Erklärung der Anarchos von Wetzlar" vor sich (vollständig in: "Günter Bartsch - Anarchismus in Deutschland“), die u.a. vom derzeitigen Herausgeber der FREIEN PRESSE mit unterschrieben wurde, demselben, der 1981 das UTOPIA-Pamphlet nachdruckte, in dem es hieß: "Wir würden uns, als an der Geschichte des Anarchismus Interessierte, freuen, wenn uns die FAU mal die Wurzeln für diese ihre Theorie in der Geschichte des Anarchismus aufzeigt.", und der selbst, acht Jahre also nach der aufgezeigten Notwendigkeit von Organisation, einer am Aufbau organisatorischer Strukturen arbeitenden Gruppe (der FAU nämlich) entgegenschleudert: "Nach dem Motto 'Hoppla, jetzt komm' wir!' wurde eine platte Organisationsdebatte (besser: eine Wortorgie) vom Zaun gebrochen, in der es nicht um Diskussion und Inhalte ging, sondern um Glaubensbekenntnisse und das Akzeptieren von Gemeinplätzen."