Klerus 2

⑧ Ilsarpa

Panze Ghumoram, 1766 Athene, baat-Zeremonie 22. Juli 1766

Als zweite HP einer einzelnen Göttin und zwar der Ilsarpan (Göttin des Handwerks, des Handels und der Weisheit) ließ sich Panze Ghumoram diese Würde von Theia bestätigen und nahm den Titel Athene an. Sie war damals 78 Jahre alt und wandte sich an die zwei Jahre ältere und bei ihrer Inauguration 80 gewesene Hekate mit der Bitte um das baat. Theia war die erste HP gewesen, die das baat ihrer Vorgängerin übernommen hatte, sie jetzt für eine andere um seine Erschaffung zu bitten, erschien unangemessen und Athene sah sich als Allrounderin, als Generalistin wenig geeignet, sich zu Beginn ihrer Laufbahn in die langwierige Erfahrungswissenschaft der Erzeugung magischer Gegenstände einzuüben. Hekate dagegen war als Inkarnation Anadricadans die personifizierte Schwarzkünstlerin, die Spezialistin für magische Angelegenheiten schlechthin. Aus dieser Auftragsarbeit erstand eine lebenslange Partnerschaft und Freundschaft der beiden HP trotz und vielleicht gerade wegen der Gegensätzlichkeit ihrer Farben (schwarz-weiß) und sie begründete eine Tradition, der Hekate gern nachkam und die das Zusammenwirken der verschiedenen Schulen im anguramischen Glauben positiv stimulierte.

Dies allerdings erst nach der langen Zeit ihrer dämonischen Besessenheit. Diese war mit ein Grund, warum nach der Inthronisation Athenes fast ein Jahrhundert lang keine weiteren Individual-HP zur Wirksamkeit gelangten. Das entsprach auch dem Zeitgeist, weil Autoritäten generell in Frage gestellt wurden. Es bedeutet nicht, dass die Ausdifferenzierung stockte, lediglich fanden sich keine Führungspersönlichkeiten für eine nominelle Leitung und wer hätte auch schon ein baat annehmen mögen, das von einer Besessenen kontaminiert war.

Die große Stockung bewirkte zugleich, dass auch mit dem Einsetzen des HP-Revivals ab 1862 die Neugekürten innerhalb der einzelnen Segregationen weiter mit ausgesprochen flachen Hierarchien arbeiteten.

Weil die Jahre 1775/76 den Tod der Theia und zugleich den Ausfall Hekates brachten, war die Lage seit den 1780er Jahren für die Gesamtcommunity zwar theologisch durch die Rivalität zweier Richtungen, der universalen gegen die personalisierte, gekennzeichnet, zugleich erschienen aber Athene, Phoibe und Phanes als ein leuchtendes Dreigestirn, das der ideologischen Differenz die Schärfe nahm und eine Phase fruchtbarer Zusammenarbeit einleitete. In einer Art Aufgabenteilung übernahmen   die Ilsarpanianer dabei zunehmend sozial-fürsorglerische Aufgaben und widmeten sich der praktischen Nächstenliebe. Athene selbst erwies sich als großartige Geschichtenerzählerin, warmherzig und den Menschen zugewandt. Es entstanden Verbände der Krankenpflege und Mildtätigkeit, die an den Begriff der Ordensschwestern im Bereich verschiedener terrestrischer Religionen denken lassen.

Vorübergehend war Athene dann de facto das, was ihrem eigenen Ansatz völlig entgegenstand: Die einzige aktive HP der gesamten Gemeinschaft und damit die tatsächliche geistliche Führerin des Kontinents und damit auch des Planeten, Hauptgesprächspartnerin der Khras, maßgeblich beteiligt am Aufbau supranationaler Institutionen, nämlich nach dem tragischen Tod Phoibes im Jahre 1810 und dem resultierenden Rückzug des Phanes bis zur Genesung Hekates im Jahre 1832. Sie ist als mitfühlende große Trösterin angesehen und genießt auch gegenwärtig die Verehrung der Massen. In ihr hat sich nüchterner Verstand mit glaubhafter Spiritualität verbunden.

Eqalu Oha-Orama, 1945 Poseidon, Inthronisation 5. November 1945

Gemeinsam mit Salacia II, der Unbeständigen, begründete Athene kurz vor ihrer Abdankung eine neue Regel, nämlich das Recht zweier das baat haltenden Amtsschwestern, einen männlichen HP zu küren und ihn zugleich in beide Gemeinschaften aufzunehmen. So wurde Eqalu Oha-Orama, in den Salacia II sich unsterblich verliebt hatte, als HP des Avlaran berufen, und infolge ihrer treuen Verbindung wandelte sich der Beiname seiner Partnerin im Laufe der Zeit zu Salacia, der Beständigen.

Haruteq Oćam, 1959 Athene II,  baat-Übergabe bei “Doppelhochzeit” 20. Februar 1959

Haruteq Oćam ist in den ilsarpanischen Netzwerken aufgewachsen. Als sie geboren wurde, war ihre Vorgängerin schon über 120 Jahre im Amt. Sie hat nie eine persönliche Offenbarung ins Feld geführt, war aber in Wort und Tat so engagiert bei allen zentralen Anliegen ihres Ordens an vorderster sozialer Front dabei, dass Athene I nur Zustimmung entgegenschlug, als sie die 71jährige zu ihrer Nachfolgerin kürte und ihr das baat übertrug. Ihre Inauguration war die erste und einzige, in deren Rahmen zwei HP gleichzeitig inthronisiert wurden, gewissermaßen in der Art einer Doppelhochzeit. Hierauf werde ich an passender Stelle noch zurückkommen.

⑮ Olharc

Oshun Haluna, 1830 Sigyn, Offenbarung 6. März 1830

Inmitten gärender Zeit, von der nicht abzusehen war, ob sie eine der Stagnation bleiben würde, oder sich in ihrem Schoße revolutionäre Veränderungen Bahn zu brechen anschickten, als noch Athene  als einzige HP die Fahne hochhielt, und Hekates Geist düster umfangen war, während Phanes an seiner Trauer siechte, Nanna schmollend und uneinsichtig verharrte und gegen jeden Fortschritt opponierte und nur Nerthus neben Athene als Silberstreif der Hoffnung aufleuchtete, über fünf Jahrdutzende nach der Offenbarung zweier großer Göttinnen, aber keiner weiteren, da hatte mit 84 Jahren wieder eine Adeptin Banasheyos die Vision einer Gottheit, die sie zunächst gar nicht unterbringen konnte. Sie gehörte sicher nicht zum Symposium, war auch in keiner der Neunheiten unterzubringen und die sie begleitende Farbe war nicht sicher zu bestimmen, eine Art grün-rotes Ocker vielleicht, war sie überhaupt unter die göttlichen Wesenheiten zu subsumieren?

Oshun Haluna war verunsichert. Es gab ja auch keine Göttin, der sie sich besonders verbunden fühlte. So besprach sie zwar das Erleben in ihrem persönlichen Umkreis, versuchte aber zunächst, ihre Bestimmung zu ignorieren. Da geschah etwas, was in dieser Weise seit Yanando niemandem mehr widerfahren war, sie hatte nicht nur eine erneute Begegnung mit der Göttin, sondern diese entrückte sie und offenbarte sich als die Göttin der Dämmerung, des Morgengrauens, des werdenden Lichts, Olharcan. Oshun, deren Name einem der Namen des männlichen Mondes, Shûn, ähnelt, wurde auf einen Trip quer durch das Universum geschleudert und nahm, so erleuchtet, die Bürde einer OP dieser wenig geläufigen Göttin an. Sie sammelte zahlreiche Anhängerinnen und bereitete den Boden für die weitere Entwicklung. Sie galt lange als inoffizielle HP, führte und führt den Titel Sigyn I.

Hlivo Lonkaim, 1922 Triton

Hlivo Lonkaim war als 104jähriger junger Mann weit davon entfernt, sich eine Position im Rahmen einer der weiblich geführten Kongregationen vorzustellen. Er war kein Banasheyer, sondern hatte sich sein bisheriges Leben lang überall umhergetrieben, war oft obdach- und ständig mittellos und lag im Jahre seiner Berufung mit Verletzungen infolge einer Schlägerei in einem von Olharcanerinnen geführten Lazarett.

Als er halbwegs wieder hergestellt war, hatte er einen moralischen Kater, vielleicht auch Entzugsprobleme, jedenfalls begann er die Ordensschwestern so dringlich und geistlich durstig nach ihren Verhältnissen auszufragen, dass sie ihn schließlich an die OP verwiesen. Diese erkannte in ihm einen verlorenen Sohn, eine Perle, die im Kot gelegen hatte. Er glühte vor Eifer, seiner Berufung nachzukommen, er warb in großen Veranstaltungen Geldmittel und Zusagen dauerhafter Unterstützung ein und stellte so die sozialen Werke des Ordens auf sichere Grundlage. In einer gemeinschaftlichen Aktion, die sowohl Nerthus, als auch Athene und Hekate einschloss, welche letztere sein baat schuf, wurde er zum HP des Aishanan bestimmt.

Wibus Erkolzon, 1940 Sigyn II

Im Jahre 1940 bestimmte Sigyn Wibus Erkolzon zu ihrer Mit-OP und verlieh ihr den Titel Sigyn II. Beide arbeiteten geschwisterlich zusammen und bestärkten Triton in seinem Vorhaben, seine Mission über den ganzen Kontinent auszudehnen, während sich insbesondere Sigyn I auf den Heimatdistrikt begrenzte und ihre Aufgaben nach und nach an Sigyn II abgab. Sechs Jahre später erfüllten sich beide ihren Wunsch nach der Inauguration einer eigenen HP.

Yova Rhikadaneś, 1946 Eos I

Yova Rhikadaneś wurde mit 73 Jahren von beiden Sigyns und Triton als HP der Olharcan erkannt und ihrer Gemeinschaft entsprechend vorgestellt und in das Amt eingeführt. Beschwingt von der eigenen Emphase hatten es aber die lokalen Verantwortlichen an einer zielführenden Kommunikation in den globalen Raum hinein offenbar fehlen lassen. Im Ergebnis verweigerte Hekate der neu berufenen HP die Ausfertigung des baat. Selbst exotischer Herkunft hatte Hekate eigentlich keine diesbezüglichen Dünkel, gleichwohl mag die Tatsache, dass Eos I Emoramerin ist, die von Missgünstigen befeuerte Argumentation erleichtert haben, dass im Schoße der olharcanischen Gemeinde mit Triton ja bereits ein baatinhaber wirke.

Dazu kam, dass es mit Taumantia eine HP gab, die bereit war, die prosperierende Gemeinschaft zu übernehmen. Sie hatte die Entwicklung nach dem kometenhaften Aufstieg Tritons bewundernd und zugleich neidvoll verfolgt, machte sich anheischig, zu konvertieren und hatte sich eine win-win-Situation der Art vorgestellt, indem sie ihrer neuen Gemeinschaft das brachte, was sie entbehrte, nämlich eine HP mit dem vorenthaltenen baat.

baat

An dieser Stelle gehe ich noch einmal auf das baat ein und zwar auf seine Beschaffenheit. Es ist durchaus tiergestaltig, dabei aber weitgehend stilisiert/abstrahiert. Da die okhogondische Fauna von der irdischen natürlich hochgradig unterschieden ist, sind keine direkten Entsprechungen zu benennen. Es sind aber die klassischen Formen vertreten, einige ähneln Vögeln, andere Fischen und weitere dem lieben Vieh. Auch schlangenförmige und insektenartige sind vertreten. Um einen Eindruck zu vermitteln, folgt eine Liste, in der das jeweilige baat durch ägyptische Hieroglyphen übersetzt bzw. angedeutet ist. Angegeben ist das Jahr seiner Entstehung, der Titel der aktuellen oder letzten Trägerin oder des Trägers und die mit dieser/diesem verbundenen Gottheit.

Gebośu Bopst,1944-1945 Eos II

Die im Jahre 1919 zur HP der Aisdaran berufene und von Hekate mit dem baat ausgestattete Gebośu Bopst hatte sich mit der Rekrutierung von Anhängern und organisatorischem Aufbau schwergetan und konnte sich deshalb gut vorstellen, zusammen mit ihren wenigen Eleven zu den Olhacanerinnen zu wechseln. Aber auch ihrerseits hatte sie die Sache nicht gut vorbereitet und stieß auf wenig Gegenliebe der neuen Gemeinschaft. Formal war der Schritt vollzogen, er war aber nicht nachhaltig. Selbst 109 Jahre alt begegnete ihr gleich nach der Konversion der fünf Jahre jüngere Eqalu Oha-Orama, Priester der Ilsarpan, in den sie sich knallfall und bis über beide Ohren verliebte, woraufhin ihr die widerspenstige Gemeinschaft der Olharcan samt allen Sigyns und Tritonen herzlich egal war und sie es schaffte, einen abermaligen Wechsel krachbums durchzusetzen, zu den ebenfalls noch baatlosen Aswiranern umzusatteln und dabei Athene, die ja ihren Pappenheimer kannte, zu überreden, ihr ihren neuen Lover als zuständigen HP dahin mitzugeben. Aus diesen Irrungen und Wirrungen gelangte sie zu aller Erstaunen in einen sicheren Hafen. Und obwohl sich diese Zuflucht nach ihrer Ankunft auf Leitungsebene in fortwährender Fluktuation befinden sollte, fand sie dort ihren Seelenfrieden. Hiervon aber soll später erst erzählt werden, weil: hochgradig komplex ist das Haus ⑥ (reimt sich).

Nach der kurzen Phase der durchlauferhitzenden Eos II stabilisierte sich die olharcanische Organisation unter Führung von Eos I zusehends. Ähnlich den Ilsarpanerinnen entwickelte sie eine ordensähnliche Struktur, um den Auftrag zur tätigen Nächstenliebe bestmöglich erfüllen zu können. Immer noch aber fehlte es an der höchsten Weihe, der HP mangelte es weiter am baat.

Thea Inoraś, 1959 Eos III, „Schweineoffenbarung“ 18. Januar 1959, “Doppelhochzeit” 20. Februar 1959

Abhilfe kam 14 Jahre später von unerwarteter Seite. Die 59jährige Thea Inoraś gehörte zum Fahrenden Volk, war Teil einer Schaustellerfamilie, angeführt von ihrer Tante Zeru. Man kann sich ihr Unternehmen als einen mit Wohnwagen herumziehenden Zirkus vorstellen. Man huldigte mehr oder weniger allen in Frage kommenden Gottheiten gleichermaßen und stelle auch lokale Präferenzen in Rechnung. Eigentlich gehörten sie zu den Universalisten und eigentlich kümmerte sie die Religion auch nicht besonders. Zur Truppe gehörte auch eine Meute von Wesen, deren Aussehen an unsere Schweine erinnert, die auch ähnlich intelligent sind und sich zu allerlei Kunststücken gebrauchen lassen. Und hier hat Thea dann tatsächlich „Schwein gehabt“. Es kam nicht die hochmögende Gottheit als superiores Überwesen zu ihr herabgestiegen und sie musste auch nicht eine ferne Instanz botmäßig anflehen, ihr ein magisches Artefakt zu fertigen. Nein, das baat kam zu ihr. In Gestalt eines ihr vertrauten Geschöpfes, das sogar einen Namen hatte: Rhoua. Wir könnten es, oder besser sie, eine Sau nennen.

Rhoua sprach mit Thea. Diese konnte jedenfalls in ihrem Kopf klar vernehmliche Worte hören. Sie besagten, dass sie die aktuelle Inkarnation der Olharcan sei, dass es höchste Zeit wäre, den verstaubten Laden ihrer Anhängerschaft um und um zu krempeln und dass rein zufällig Triton in der Stadt sei, eine große Erweckungsshow abziehen wolle und ihm dafür noch ein zündendes Vorprogramm fehle. Ohne die Sache weiter ausführen und ausschmücken zu wollen: Thea kam, sah und siegte. Wie es eben immer so ist, war rein zufällig auch eine gute Freundin Tritons unter den Gästen, Hekate V, die sich gerade mit allen Vorgänger-Hekaten ausgesöhnt hatte und so kam es im Zuge der ausgelösten allgemeinen Begeisterung dazu, dass sie rasch eine Audienz bei Hekate I vermittelte. Und bereits wenige Wochen danach, wurde Thea Inoraś gemeinsam mit Haruteq Oćam, deren Erhöhung als Athene II schon lange beschlossen gewesen war, im Kreise fast aller Hochmögenden und Gewaltigen sowie einer zahlreichen staunenden Menge zur HP der Olharcan mit dem Titel einer Eos III ernannt und ihr das sehr liebe baat übergeben. Dessen Urbild Rhoua blieb übrigens noch viele Jahre bei ihr und ist erst vor kurzem in eine andere Existenzform übergetreten.

Tabasćwi, 1981 Eos IV

In Bezug auf Eos IV und ihre besondere Rolle im Gefüge des Ordens müsste man sehr weit ausholen, denn Tabasćwi ist die allererste Migrantin von jenseits des Meeres gewesen, die zur HP einer anguramischen Gottheit geweiht wurde. Über viele Jahrtausende war sich der Hauptkontinent selbst genug, er hat nicht einmal eine eigene Bezeichnung gegenüber der des Planeten als Ganzem. Von der Existenz der angrenzenden Welten wurde wenig Notiz genommen, ihrer allenfalls in Liedern gedacht (vgl. quipadem 30909 und 40423).

Das hat sich natürlich durch die Ankunft der Khras nachhaltig geändert und es werden gegenwärtig Kontakte geknüpft und Botschaften ausgetauscht. Trotzdem sind die Außenwelten dem ideellen Gesamtokhogonder fast so fremd wie der Outer Space. So wird Eos IV hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ein ausführlicher Bericht würde den Rahmen dieser kleinen Übersicht sprengen.